Text über "Vulviva"
von Jean-Christophe Ammann

Laura Baginski: „Vulviva“
Sie sieht wunderschön aus, diese Baubo („Vulvia“ 2012), lacht ein bezauberndes Lächeln, hockt breitbeinig auf dem Boden. Die Arme unter den angezogenen Oberschenkeln, öffnet sie mit beiden Händen ihr Geschlecht, zeigt die inneren Schamlippen. Die Haare fliessen in üppigen Wellen beidseitig über Schultern und Oberarme. Mit dem Rücken lehnt sie an einem regelmäßigen Fünfeck, dessen eine Spitze sich auf der Höhe des Scheitels befindet. Die Füsse, abgestützt auf den Fersen, ragen über die Sitzfläche hinaus. Das Werk besteht aus Bronze. Sie ist poliert, leuchtet wie ihre Augen.
Es handelt sich um Laura Baginskis Abschlussarbeit an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Als das Werk dort, in einem Turmgebäude, hoch über den Häuptern der Besucher, flach an der Wand hing, der Blick sich mit jenem der Betrachter traf, „fühlte es sich an wie zu Hause“, so Madonna in „ Like a Prayer“. Das klaffende, sorgfältig ausgearbeitete Geschlecht, die Wölbung des Bauches, die vollen Brüste, glichen einer Einladung. Vorausgegangen war eine kleine, 18 cm hohe, vollplastische Figur aus sorgfältig bemalten Gips (2011). In der Folge entstand in einer langwierigen und aufwendigen Modellierung ein Modell in Tonerde im Massstab 1:1.
Die Baubo als personifizierte Vulva geht auf einen griechischen Mythos zurück. Die Göttin Demeter ist ihrer Tochter Persephones verlustig gegangen. Hades hat sie in die Unterwelt entführt. Die Mutter irrt voller Trauer herum, isst und trinkt nicht. Da begegnet sie Baubo. Die reisst ihr Gewand hoch, zeigt Demeter ihr offenes Geschlecht, lacht, und Demeter kann nicht anders, auch sie muss lachen, akzeptiert von Baubo die Labung, die sie sich verweigert hatte. Von da an wird das durch Demeters Kummer karg gewordene Land wieder fruchtbar.
Georges Devereux hat versucht in der ersten Hälfte seines Buches “Baubo – die mythische Vulva“ den letztlich hoch komplexen Mythos aufzuschlüsseln. Interessant ist, dass vor allem in französichen und irischen Kirchen des Mittelalters Baubo-Darstellungen in Reliefform anzutreffen sind.
Eine Frau begegnet einer anderen Frau. Sie erschrickt nicht, ob dem was diese tut. Die beiden Frauen verstehen sich, sie sind sich einig. Baubo als verkörperte Vulva ist eine Frauen-“Geschichte“. Männer bekämen es mit der Angst zu tun. Die Vorstellung von einer Frau gleichsam vergewaltigt bzw. verchlungen zu werden, treibt sie in die Flucht. Vielleicht hat auch Demeter als sie Baubo erblickte so reagiert wie Elena auf Lina in William T. Vollmanns Jahrhundertroman: “Europe Central“: „ Vom Pullover abgesehen würde Lina nackt sein, die Knie fast bis an die Schultern hochgezogen, und ihre blassen Schenkel würden glänzen, und die langen weissen Lippen ihrer Vulva Elena so unwiderstehlich erscheinen wie Zuckerwerk, und ihr Anus war ein blasser Stern. In wenigen Augenblicken sollte Elena sich hinknien und ihr Gesicht im Fleisch der Deutschen vergraben; sie wusste es, und Lina wusste es auch. Unmittelbar davor würde Lina sagen: Wir haben fast den gleichen Namen, oder?, und Elena, die ihr Verlangen nach der anderen Frau kaum würde aushalten können, würde rasch nicken, während Lina mit der Rechten ihren Pullover losließ und die Hand langsam ausstreckte, die Finger auf Elenas Haaren ruhen ließ, sie zu einem Knoten verzwirbelte und ihr den Kopf nach unten drückte; nein nein, so würde das überhaupt nicht sein; Elena, die im Komsomol einen Preis beim Fechten gewonnen hatte, würde sich auf Linas Möse stürzen wie ein Hecht auf den Köder; dann würde Lina Elena über den Kopf steicheln und murmeln: Wir sind beide ganz blass, nicht wahr? Und dann erst würde Lina sich Elenas Haar um die Hand wickeln und ihren Kopf fester an sich ziehen und hauchen: Oh, Süße, aber du bist weiss wie Schnee, und ich bin weiss wie eine Wolke... - und noch bevor sie diese Worte ausgesprochen hätte, würde Elena unter Linas Hizte zu schmelzen beginnen, während Lina in Elenas Mund zu Regen würden. Es sollte noch ein zweites Mal geben und ein drittes (danach würde Elena bereit sein für Lina zu sterben), ein viertes und fünftes, alles binnen einer langen Weißen Nacht. Gegen Mittag würde Lina sich schlaflos nach Berlin aufmachen und Elena würde nie auch nur ansatzweise begreifen, was ihr geschehn war.“
Die Baubo von Laura Baginski erschreckt keine Männer. „Der Ursprung der Welt“ ist ein offenes Geheimnis oder wie es Naomi Wolf sagt: „Frauen sind biologisch disponiert, unendlich zu begehren.“
Im „duftenden Garten“, einem arabischen Liebeshandbuch aus dem 16.Jahrhundert, heisst es: „Träumt jemand von der Scheide einer Frau, dann bedeutet dies, dass Gott ihn trösten wird, wenn er Kummer hat; dass seine Schwierigkeiten ein Ende haben werden; oder dass er – wenn er arm ist – zu Reichtum gelangen wird... Dabei ist es noch glückverheissender, wenn er von einer geöffneten Scheide träumt.“
Georges Devereux insistiert auf einer Verbindung von Baubo (Vulva) und Baubon (Penisersatz). Er geht von der Komplementarität „ konvex – konkav“ aus, was , wie er sagt Sinn macht, „denn der Penis der Säugetiere... hätte keinerlei Funktion, wenn die Vagina, die dazu bestimmt ist, ihn aufzunehmen, nicht existierte.“
Da fällt mir die schöne Geschichte der Prinzessin Li Lai aus Xanadu ein, die in ihrem kühlen Palast, im innersten Raum, einen neuen Freier empfing. Sie hatte noch niemanden gefunden, “der sie so lieben konnte, dass sie eine Schildkröte mit einem Schild sah, der an ein Gesicht erinnerte. Der Freier war diesmal der berühmte Teppichknüpfer Kara Bagh, und auch er verschwendete keine Zeit, sondern trug sie zum Bett, wo er sofort anfing, sie zu lieben. Kara Bagh konzentrierte sich ausschließlich auf ihr Inneres, als trüge sie eine Menge Fäden in sich, die er zu einem Teppich verknüpfen sollte. Der Prinzessin war, als könnte sie fühlen, wie sein Glied bald steif und bald weich wurde und er zwischen langen Zügen und kleinen, dichten Bewegungen tief in ihr wechselte, als knüpfe er mit etwas, das ganz außen am Peniskopf befestigt war. Und während er sie liebte, immer ungewöhnlicher, mit den überraschendsten Bewegungen, in den erstaunlichsten Mustern, spürte Pinzessin Li Lai, wie diese Bewegungen Wärme in ihr hervorriefen, als wäre sie in die Sonne hinausgebracht worden und ginge durch die Landschaft, die der Teppichmacher Kara Bagh langsam, während sie ging, vor ihr erschuf, Knoten für Knoten, mit einer Vegetation in glühenden Farben und dahinter mit großen Bergen in wilden Formationen hintereinander, wie ein unendlicher Raum, und als sie an einen Fluß kam, trat der plötzlich über die Ufer und riß sie mit, so dass sie davontrieb, wie in einer Flutwelle, ein herrlicher Druck auf dem Körper, sie trieb und trieb auf einem warmen Strom, der schneller und schneller floß, heftiger und heftiger, bis sie ans Ufer geworfen wurde, wo sie eine kleine Brücke entdeckte, und sie ging hinüber, so dass sie auf ein Plateau vor einem Berg kam, und während der Teppichknüpfer Kara Bagh sie intensiver und intensiver liebte, mit seinem bald harten, bald weichen Glied, mit langen und kurzen Zügen, mit Knoten und losen Fäden, fühlte die Prinzessin, wie ihre Beine sie zu dem Berg trugen, rascher und rascher, bis sie emporgehoben wurde, stieg und stieg, schwebte, und als sie den Gipfel des Berges erreichte, liebte Kara Bagh sie in so seltenen Mustern und mit so gekonnten Bewegungen, dass sie das Gleichgewicht verlor und über die Kante kippte und fiel, durch die Luft fiel und fiel, befreiend, schwer, satt, bis sie eine Wasserfläche erreichte, weitersank, sank und sank, ein herrliches, allumfassendes Gefühl, ein ewiges Sinken, bis sie plötzlich das Empfinden hatte zu steigen, während sie weitersank, stieg und sank, sank und siteg, während sie sich gleichzeitig in alle Richtungen dehnte, von innen und außen befreit wurde, vollkommene Einsicht, makellose Stille erlangte, einen Regenbogen aus Licht, bis sie wieder die Wasseroberfläche durchbrach, durchstrahlt von Wärme, und entdeckte, dass sie von einer großen Schildkröte getagen wurde, mit dem Bauch auf deren Rücken lag, und die Prinessin sah gleich, dass der Schild an ein Gesicht erinnerte, genau das Gesicht, in das sie hinuntersah, als sie die Augen öffnete, und das dem Teppichknüpfer Kara Bagh gehörte, denn er hatte, ohne dass sie es gemerkt hätte, die Position vertauscht, so dass sie jetzt auf ihm lag. Und sie dankte ihm und bat ihn zu bleiben, denn sie war sicher, dass sie so am besten geliebt worden sein musste. > Was hast du mit ir gemacht?< fragte Prinzessin Li Lai. Und ihre Verwunderung war groß, als Kara Bag ihr erzählte, dass er überhaupt nicht in ihr gewesen war. Denn wie er später sagte: >Das Innerste einer Frau erreicht kein Mann mit seinem Glied.<“
Am 20. August 1971 zeichnet Pablo Picasso, zwei Jahre vor seinem Tod, auf einem Stück Papier (23,5 x 29 cm) eine Baubo mit verschränkten Beinen. Sie öffnet für ihn, den hochbetagten Künstler, mit beiden Händen, ihr in eine dichte Behaarung eingebettetes Geschlecht. Sie schaut ihn nicht an, ihr Kopf ist zur Seite geneigt, der Blick versonnen nach innen gerichtet. – Was wäre Picasso ohne die Frauen gewesen?
Die Baubo von Laura Baginski hängt bei ihr im Atelier. Ich wünschte mir, ich könnte einen Ort für sie finden.

Jean-Christophe Ammann

Naomi Wolf, “Vagina - Eine Geschichte der Weiblichkeit”, Hamburg 2013, S.389.
Georges Devereux, “Baubo – Die mythische Vulva“, Frankfurt am Main 1981. Siehe auch: Monika Gsell, “Die Bedeutung der Baubo. Zur Repräsentation des weiblichen Genitals“, Frankfurt am Main/Basel 2001.
Barbara Freitag/Hans-Christian Oeser, “Das Rätsel der - Indiskrete Zeuginnen mittelalterlichen Volksglaubens“, Neue Züricher Zeitung, 28. November 2000, Nr. 278.
William T. Vollmann, “Europe Central”, Berlin 2013, S. 94-95.
Siehe Anm. 1, S.340
Siehe Anm. 1, S. 289. Nafzawi, Abu Abdallah Muhammad, “Der duftende Garten zur Erbauung des Gemüts. Ein arabisches Liebeshandbuch“, München 2002.
Siehe Anm. 2, S. 132.
,Siehe Anm. 2, S. 136.
Diese Geschichte erzählt Tante Laura ihrem Neffen Jonas im wunderbaren Roman „Der Verführer“ von Jan Kjaerstad, Köln 1999, S. 293-295.



Text über "Vulviva"
Laura Baginski zu ihrer künstlerischen Arbeit

Die Auseinandersetzung mit den organisch-zyklischen Prozessen der Natur und deren Verbindung zum Menschen, insbesondere zum weiblichen Körper und zur weiblichen Identität, zieht sich als roter Faden durch meine plastische und zeichnerische Arbeit. Die an sich sehr sinnige Nähe von Weiblichkeit und Natur, wie ich sie aus meiner eigenen Leibeserfahrung als Frau kenne, stellt sich aber aufgrund ihrer historischen Instrumentalisierung zur Bannung der Frau, sei es direkt durch Unterdrückung oder indirekt durch Idealisierung, als eine äußerst vorbelastete dar. In der Darstellung der Vulva, auf die Spitze getrieben im Motiv der “Vulvaweisenden” oder “Baubo” und ihrer Geste des “Alles Zeigens”, des sogenannten “Anasyrma”, zeigt sich diese Problematik meines Erachtens am eindrücklichsten, weshalb ich dieses Motiv in meiner künstlerischen Arbeit aufgegriffen habe. Das weibliche Genitale, dessen visuelle und verbale Darstellung anders als der des Penis bis heute einer starken Tabuisierung unterliegt, ist in unserer Kultur zu einem Ort des Mangels geworden. Zwar ist in der psychoanalytischen Definition Geschlecht an sich immer ein Hinweis auf die menschliche Unvollkommenheit, im Sinne des Geschlechtsunterschieds und unserer Sterblichkeit, doch durch die kulturelle Positivierung des Phallus zum Symbol einer vermeintlich zu erlangenden Vollständigkeit durch die Verwechslung mit dem realen Penis, ist die Vulva zum Ort des Mangels, des Lochs, des “Nichts-zu-Sehens”, ja gar des Todes degradiert worden. Vollständige Darstellungen der Vulva sind ausser im Bereich der wiederum über den männlichen Blick definierten Pornografie kaum zu finden. Im Gegensatz zum omnipräsenten Phallus gibt es also auf der symbolischen Ebene für die Frau keinerlei Bilder, über die sie sich als vollständig imaginieren könnte, was wiederum einer weiblichen Subjektivierung im Wege steht.
Die Genderforscherin und Psychoanalytikerin Monika Gsell hat in ihrer Studie zur Repräsentation des weiblichen Genitales gezeigt, dass die Figur der Baubo solch eine Funktion erfüllen könnte. Der bruchstückhaft überlieferte Mythos von Baubo und Demeter kann gelesen werden als ein Hinweis auf eine zyklische Weltvorstellung, in der Fruchtbarkeit, Sexualität und Tod noch nicht getrennt vorkommen wie im christlich-abendländischen, linearen Denken des ewigen Lebens und ewigen Todes, in dem Sexualität spätestens seit dem weiblichen “Sündenfall” nur noch dem Tod zugeordnet wird. Im Mythos heilt Baubo die Göttin Demeter, die in Folge des Verlusts ihrer Tochter Persephone Nahrung verweigert, indem Baubo Demeter ihr Genitale zeigt. Damit erinnert sie Demeter an deren eigene Vollständigkeit im Sinne ihrer Gebärfähigkeit, in der Leben und Tod, Geburt und Verlust untrennbar miteinander verbunden sind.
Gerade im heutigen, von der körperlichen Realität weit entfernten Diskurs um Geschlecht sehe ich besonders auch im künstlerischen Bereich die Notwendigkeit, eine Symbolisierung für das weibliche Genitale zu entwickeln, welche sich nicht wie bisher als unvollständige, mangelhafte Abweichung vom männlichen Geschlecht definiert. Nur mit solch einer unabhängigen Symbolik der Vollständigkeit könnten sich Frauen erst mit ihrem natürlichen Mangel, ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzen und diesen anerkennen. Dazu gehört meines Erachtens aber eben auch die Anerkennung des Gegenteils, der Gebürtlichkeit und der Nähe des Weiblichen zum Lebenszyklus, sprich: der Nähe der Frau zur Natur. Oder um es mit den Worten von Barbara Rendtorff zu sagen: “Ich frage mich, ob es nicht sinnvoll wäre, [das] Bild vom weiblichen Körper als Behausung rückzuerobern, statt es dem Zugriff biologisch-deterministischer Konzepte zu opfern – aus Furcht, selber nicht imstande zu sein, die Bilder und ihre Indienstnahme auseinander zu halten”.