Interview mit Laura Baginski

Wieso ist gerade die Vulva dein zentrales Motiv?
Die Vulva ist ein besonderer, geheimnisumwobener Ort. Sie ist das Tor zum Leben, das wir alle bei der Geburt passieren müssen und der Ort alltäglichen Begehrens, in den sich viele zurück hineinwünschen, um dort beim Sex den „Kleinen Tod“** zu sterben. Wobei dann - by the way - wieder neues Leben entstehen kann. Vor allem ist die Vulva aber die Stelle am Körper, die ihren Träger*innen selbst die größte Lust bereiten kann. Hier kommen Fruchtbarkeit, Sexualität und auch Tod auf den Punkt, die Vulva ist so ein Sinnbild für den Zyklus des Lebens.

Hört sich eigentlich so an, als wäre das ein Ort der Freude, ein Körperteil, das man feiern sollte...
Ja, das sollte man meinen. Aber die Vulva ist in unserem alltäglichen Leben völlig un-
sichtbar. Außer im heimlich konsumierten Porno bekommen wir die Vulva einfach kaum zu Gesicht. Meist kennen die Sexualpartner*innen ihr Aussehen besser als ihre Träger*innen, wenn diese sich selbst „da unten“ überhaupt schon einmal genauer betrachtet haben. Jede*r kennt etliche, meist zweifelhafte Spitznamen der Vulva und doch kommen die meisten durcheinander, wenn sie ihre Einzelteile korrekt benennen sollen. Stattdessen begegnen wir im täglichen Leben ständig phallischen Symbolen als Repräsentanten für den Penis, für die Vulva gibt es aber keine symbolische Entsprechung. Allein für das Wort „phallisch“ gibt es kein Äquivalent. „Vulvisch“ fände ich schön…

Gut und schön, aber warum muss man darum so ein Aufhebens machen?
Nun, um auf deine Anfangsfrage zurückzukommen, warum mich die Vulva so interessiert: Die Vulva unterliegt ganz offensichtlich einem massiven gesellschaftlichen Tabu, und das hat einfach große Auswirkungen auf die Menschen, die in ihr leben. Ganz besonders auf jene, die eine Vulva haben und sich mit diesem Geschlecht identifizieren müssen. Das fängt beim sprachlichen Tabu an, die Vulva beim Namen zu nennen. Fälschlicherweise wird noch immer Vagina bzw. Scheide gesagt, obwohl die Vagina die Öffnung und der Schlauch hin zur Gebärmutter ist, nicht der sichtbare Teil des Geschlechtsorgans. Das ist die Vulva mit Venushügel, Klitoris und äußeren und inneren Vulvalippen, um die wichtigen Teile mal zu benennen. In unserer Sprache wird also der sichtbare Teil ausgeblendet, noch dazu haben wir viele eher negative Worte, die die Vulva als Loch, Schlitz, Spalte oder Grotte bezeichnen. So als gäbe es da nichts zu sehen.

Nun ja, aber das stimmt doch auch. Der Penis ist einfach sichtbarer, deshalb gibt
es doch bestimmt auch mehr phallische Symbole, oder nicht?

Nein. Das ist das, was wir alle glauben gemacht werden und eine Sichtweise, die tief in unserer Kultur verankert ist. Und die sogar ernsthaft von Gelehrten als legitime Erklärung gesehen wurde, warum es keine Bilder für die Vulva gäbe! Das ist schon ein bisschen peinlich. Aber es ist eben so, dass die Vulva über Jahrtausende aus Bild- und Sagenwelt mehr und mehr verdrängt worden ist. Die Zeiten, als das rituelle Zeigen der Vulva zur Abwehr böser Kräfte oder, wie bei Demeter und Baubo, zur seelischen Heilung über den Schmerz des Todes genutzt wurde, sind leider lange vorbei. Wenn in historischen Skulpturen oder Gemälden eine nackte Frau dargestellt wird, hat diese meist nur einen Venushügel und maximal einen angedeuteten Schlitz. Das sehen dann Frauen* und sind verwirrt, wenn sie ihr eigenes Genital betrachten, das dem so gar nicht entsprechen will und - auf den ersten Blick - eher ein Chaos aus Haaren und Hautfalten ist. So entsteht ein Gefühl, dass etwas nicht mit einem stimmt und daraus eine Ablehnung des eigenen Körpers. Ein Mangel an Worten und Bildern für die Vulva und eine negative Besetzung derselben hat also direkte Auswirkungen auf die Identität ihrer Besitzer*innen. Ein Mensch, der sich nicht positiv mit seinem Körper und seiner Lust identifizieren kann, wird auch gesellschaftlich geschwächt. Wer kein Wissen über seinen Körper hat, wird leichter Opfer von Gewalt und Missbrauch und hat auch generell weniger Selbstsicherheit, um gesellschaftlich wirksam zu werden. Die Vulva als Sinnbild für unabhängige weibliche Lust und Selbstbestimmung ist eine Bedrohung für patriarchale Strukturen. Herrschaft hat ja immer auch mit der Kontrolle von Sexualität zu tun. In einer patriarchalen Kultur darf Sexualität nur binär sein und die Sexualität der Frau nur auf den Mann ausgerichtet sein. Die Tabuisierung der Vulva ist also ein Machtinstrument, um Frauen* von Macht und Unabhängigkeit fernzuhalten und hat somit System.

Das heißt, deine Beschäftigung mit der Vulva ist auch ein politisches Anliegen?
Ja, unbedingt. Es reizt mich einfach, dieses Darstellungstabu künstlerisch zu durchbrechen. Wir brauchen ganz viele Bilder von der Vulva in ihrer Vielfalt, damit ihr Anblick keine Schockmomente mehr bei den Betrachtenden erzeugt und sozusagen alltäglicher wird, und auch insgesamt einen unaufgeregteren Umgang mit Geschlecht und Sexualität. Und erfreulicherweise gibt es ja eine Entwicklung in Kunst und Popkultur, im feministischen Porno ebenso wie in Medizin und Bildung, das Bild der Vulva zu korrigieren, ihren Namen sagbar zu machen und ihr einfach insgesamt zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Denn Gleichberechtigung und echte Ebenbürtigkeit kann meines Erachtens erst entstehen, wenn sich alle Menschen positiv mit ihrem Geschlecht identifizieren und somit selbst annehmen können.

Das Gespräch führte Laura Baginski mit sich selbst, am Welt-Vulva-Tag, der hoffentlich bald erfunden wird.